Die Anfänge

Als im Herbst 2013 die Stadtverordnetenversammlung einstimmig beschloss, zu prüfen, ob 100 geflüchtete Menschen nach Falkensee kommen können, feierten einige Menschen in den Facebookgruppen von Falkensee diese weise Entscheidung. Ein Thema proaktiv anzugehen und damit gestalten zu können, beeindruckte jedoch nicht alle Menschen. Es folgten Hetze und Hasskommentare. Deshalb galt es, so
schnell wie möglich den sozialen Raum mit willkommenheißenden Menschen zu besetzen. Wir gründeten die Facebook-Gruppe „Willkommen, denn Falkensee kann anders“. Die Gegnerschaft formierte sich langsamer (mit dem bewusst irreführenden Namen Pro Asyl!).
Die Facebook-Gruppe zählte Anfang 2014 rund 200 Interessierte. Würden so Viele aber auch aktiv werden,
wenn es um mehr geht als einen Klick vom Sofa daheim? Bringen die Leute sich ein, wenn es ernst wird? Im Februar 2014 lud ich die Menschen aus der Facebook-Gruppe ein und Menschen, die in Kirchen, Sportvereinen, Kultureinrichtungen, Schulen, Parteien und Gruppen aktiv waren. Zur großen Freude kamen 20 Engagierte. Zuerst legten wir fest, dass wir keine Flüchtlingsinitiative sein wollen, sondern unsere Hilfe allen gilt. Wir einigten uns auf den einen gemeinsamen Nenner. Unser Anliegen:

EIN GUTES ZUSAMMENLEBEN IN DER STADT.

Dies gilt nicht nur für Geflüchtete und Alteingesessene, sondern für jede und jeden, der in die Stadt zieht.
Wir hatten den Luxus, uns ohne Druck vorbereiten zu können, machen zu können, was uns Spaß machte und worauf wir Lust hatten. Es entstanden Arbeitsgruppen, mit Themen, für die sich einzelne organisieren wollten: „Diskussion und Argumente“, um sich mit Abweisenden inhaltlich auseinanderzusetzen, „Fahrräder sammeln und herrichten“, um schnellstmöglich Mobilität zu verschaffen, und die Gruppe „Patenschaften“, um mittels “Tandems” die persönlichen Netzwerke zu akquirieren und die Aufgaben auf viele Schultern zu verteilen. Schnell sprach sich herum, dass es eine Willkommensinitiative gab. Viele Spenden wurden uns angeboten, obwohl in Falkensee noch kein geflüchteter Mensch in Sicht war. Wir schickten alle Spender:innen zur Tafel, weil unser Engagement allen Bedürftigen zu Gute kommen sollte. Wir kooperierten mit der Tafel und später mit dem ASB bezüglich Möbel-, Kleider- und Fahrradspenden. Der Bau eines Übergangswohnheims sollte im Sommern 2015 fertiggestellt sein. Bis dahin erfolgten nicht nur regelmäßige Treffen, sondern mehrere Aktionen jeden Monat, die sich mit dem Thema Flucht, Ankommen, Integration und Willkommenskultur auseinandersetzten. Wir organisierten zusammen mit geflüchteten Menschen aus Friesack, die wir Newcomer nennen (die Flucht ist ja in Falkensee zu Ende) ein temporäres Cafe am Bauplatz, wo sie von ihrer Geschichte erzählten. Genauso wie bei der Filmvorführung über einen kurdischen Imker im Kino ALA mit den Imkern oder eine Schlagbaumaktion an der ehemaligen europäischen Außengrenze zwischen Spandau und Falkensee, wo Falkenseer:innen und Spandauer:innen der Einbürgerungstest abverlangt wurde. Wir versuchten Perspektivwechsel zu erzeugen, sich hautnah mit den Geschichten beschäftigen zu können und Vorbehalte, Ängste und Unsicherheiten abzubauen.
Wertvoll war für uns die Zeit, um uns mit unseren eigenen Widersprüchlichkeiten und Unzulänglichkeiten auseinanderzusetzen. Gibt es gute Kriegsgeflüchte und böse Wirtschaftsflüchtlinge? Wissen wir, ob ein Täter oder ein Opfer den Weg zu uns findet aus einer Krisenregion? Flohen nicht auch viele Nazis mit falschen (jüdischen) Pässen nach Lateinamerika? Flohen die Menschen aus der DDR nicht ebenfalls aus wirtschaftlichen oder berufsperspektivischen Interessen? Sollen, dürfen wir das werten, oder ist dafür nicht die Justiz oder die Politik zuständig? Wir ermöglichten den Aktiven sich zu qualifizieren, ihnen Know-how an die Hand zu geben und organisierten Fortbildungen zu interkultureller Kompetenz, rechtlichen Aspekten, Umgang mit Trauma und Antidiskriminierung. Pateneltern wurden ausgebildet und begleitet.
Wir wurden konfrontiert mit der Frage, ob wir unterwandert werden, da ein Aktiver als AFD Mitglied geoutet wurde. Das nahmen wir zum Anlass, uns mit seiner Motivation zur Mitarbeit auseinanderzusetzen. Dies war der Anlass, uns auf ein Leitbild zu verständigen. Basisdemokratisch mit etwa 30 Menschen definierten und verabschiedeten wir unsere gemeinsamen Werte. Mit den ersten Newcomern in Falkensee kamen unsere Luxusprobleme. Es gab mehr Willkommenheißende, als zu Willkommen heißende. Da hatte sich doch glatt eine Familie – außerhalb der Arbeitsgruppe Patenschaften – in der Kirche angefreundet mit einer somalischen Familie. Enttäuschung bei leer ausgehenden Paten lindern und ein Nachjustieren der Aufgaben von Paten hin zu Alltagslotsen war notwendig. Ebenso wie die überwältigende Beteiligung von Menschen in der Initiative. Die Themen der Vielzahl der Arbeitsgruppen passten nicht mehr in eine verträgliche Plenumszeit. Es wurde ein Sprecherrat gebildet und die Arbeitsgruppen brachten Themen nur
noch ein ins Plenum, die einer Entscheidung aller oder der Diskussion eines größeren Forums bedurften.
Die Hochphase der Arbeit war sicherlich vom Sommer 2015 bis 2017. Einige sind von Anbeginn bis heute dabei. Einige haben sich in diesen beiden Jahren über alle Maßen engagiert. Viele aber haben sich immer mal wieder – oder fokussiert auf einzelne, zu denen sich freundschaftliche Beziehungen entwickelt haben, eingebracht. Es ist keine Frage der Dauer oder Intensität des Wirkens! Dass wir heute in Falkensee ein so gutes Zusammenleben von Newcomern und Alteingesessenen haben, liegt vor allem an der Vielfalt und Vielzahl der Einsätze. Jede und jeder, der ein Lächeln, Hilfsbereitschaft und Verständnis für Zugezogene
aufbringt, trägt mit dazu bei, dass wir uns alle wohl fühlen können in dieser Stadt.
Kathleen Kunath