Die junge Frau hat plötzlich eine Härte in der Stimme, die zum Anlass auf den ersten Blick kaum passt. Kathleen Kunath darf sich nämlich etwas wünschen von der Bundeskanzlerin. Angela Merkel hat am Freitag Mittag eine Hundertschaft Freiwillige aus Flüchtlingsinitiativen ins Kanzleramt geladen. Es soll ein stellvertretendes Dankeschön werden, aber auch eine Gelegenheit zur Bestandsaufnahme aus Sicht der Helfer vor Ort. Auf der großen Freitreppe im Foyer des Kanzleramts sitzen die Gäste. Eine Handvoll hat sich Merkel in eine kleine Talkrunde nach vorne geholt.
Jetzt also sind Wünsche angesagt. Kunath holt Luft. Der erste wäre, „dass der unsägliche Begriff ‚keine Bleibeperspektive‘ ersatzlos gestrichen wird.“ Und der zweite, klarzustellen, „dass Afghanistan sicher kein sicheres Land ist!“ Von den Stufen prasselt starker Applaus, stärker als sonst in dieser guten Stunde. Es ist klar, der Termin hat seinen kritischen Moment erreicht.
„Keiner tut sich da leicht“, sagt die Kanzlerin. Nur: „Ich muss noch‘n paar andere Fragen beantworten.“
Zum Beispiel die des afghanischen Präsidenten, der sie regelrecht angefleht habe, Afghanistan nicht zum verlorenen Land zu erklären: „Dann hab‘ ich keinen mehr, der gegen die Taliban kämpft!“ Und was, sagt Merkel, solle sie der Mutter des deutschen Soldaten sagen, der dort unter Einsatz seines Lebens afghanische Soldaten ausbildet? Sowieso zwecklos? „Das ist dieses Dilemma!“ Ein paar wenige auf der Treppe applaudieren, zögerlich. „Sie brauchen nicht zu klatschen“, sagt Merkel. Sie verstehe ja die Helfer. Aber die sollten zumindest auch die Gedankengänge der Regierenden kennen.
Ein paar mehr applaudieren. Es klingt immer noch nicht überzeugt. Aber der kritische Moment ist überstanden. Nach eineinhalb Stunden nimmt Merkel eine kleine Sammlung Wünsche mit – Einbeziehung der Initiativen in Abschiebe-Entscheidungen, Beschleunigung von Arbeitserlaubnissen, überhaupt mehr Tempo in der Integration sind die am häufigsten genannten. Die Helfer nehmen den Dank mit. Kanzleramtschef Peter Altmaier fasst ihn zusammen: „Für viele Flüchtlinge sind Sie Deutschland!“
Der Tagesspiegel, 7. April 2017