Unsere Zeit in der Willkommensinitiative Falkensee
Ein Bericht von Sigrid und Human
Über Bekannte lernten Human und ich im Frühjahr 2015 eine Familie in Falkensee kennen. Sie wollten sich
auf Flüchtlinge vorbereiten, die in Kürze dort eintreffen sollten. Wir wohnen am Berliner Stadtrand und waren auch interessiert. So begann es. Wir diskutierten über das ‚Wie‘ und was werden würde mit den Flüchtlingen, die angekündigt waren, jedoch noch nicht eingetroffen waren. Wir wollten alle gut aufgestellt und vorbereitet sein, wenn es dann soweit wäre. Es dauerte noch einige Monate. Im Spätsommer 2015
war es soweit. Die ehemaligen Agon-Möbelhalle war bereit für die Aufnahme. Es sollten Betten und Schränke aufgestellt werden. Und bald trafen die ersten Flüchtlingsfamilien ein. Diese Halle hatte keinerlei Abtrennungen, das war wohl nicht bedacht worden. Aber es war aufregend. Es war ein unglaubliches Gefühl, das Gebäude zu betreten und von den vielen Menschen erwartet zu werden … In Kürze waren wir immer umzingelt und mit Fragen und Anliegen konfrontiert.
Human und ich sprechen Persisch. So konnten wir uns mit den afghanischen und persischen Geflüchteten unterhalten. Wir bildeten die Brücke, waren die Sprachmittler in dieser unfassbaren, neuen Welt, in der die Familien, Frauen, Männer, Kinder auf einmal auftauchten. Es gab viele Schwierigkeiten. Familien, die unterschiedlicher nicht sein konnten, lebten auf einmal in einer großen Halle. Ohne Küchen, das Essen wurde angeliefert, nicht mal einen Tee zu kochen war möglich. Es gab keine Räume, in die man sich zurückziehen konnte. Es wurden notdürftig Ecken und Räume mit Decken und Tüchern abgetrennt.
Es gab nur Gemeinschaftstoiletten und -duschen.
Bewegende Höhepunkte dieser ersten Zeit waren die Kennlerncafés beim ASB. Gemeinsames Kaffeetrinken,
Newcomer treffen auf Falkenseer. Auch hier war es hilfreich, dass wir als Sprachmittler tätig sein konnten, den Neuankömmlingen eine Stimme geben konnten. Ich hatte nie wieder das Gefühl so nah am Leben der neu Angekommen und an deren Schicksalen dran zu sein, das zuvor Erlebte mit den Geflüchteten teilen und weitergeben zu können.
Human und ich waren zunächst mit vielen Alltagsfragen beschäftigt. Mit Fragen und Gesprächen zum Leben
in Deutschland und den Unterschieden zum Leben in Iran oder Afghanistan. Aber wir erreichten immer sehr schnell eine sehr persönliche Ebene und erfuhren viel Vertrauen. Das machte das Zusammensein mit den Neuangekommen so besonders und lässt uns bis heute mit einem Gefühl einer großen Bereicherung leben.
Im Herbst 2016 entstand das Zentrum in der Bahnhofstraße 80 in Falkensee – kurz B80 genannt. Ein neuer
wichtiger Begegnungsort war entstanden. Zwei Räume – mit einer Küchenzeile mit Geschirr und sogar einem Samowar zum Teekochen. Viel Bürokratie folgte für uns ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, Begleitung zu Behörden, Verhandeln, Übersetzen. Und ganz viel persönlicher Beistand in den besonderen Situationen des Lebens. Als das Gebäude 2018 nicht mehr gehalten werden konnte, zogen wir ein paar Häuser weiter. Daraus wurde die Bahnhofstraße 84 – die B84. Wir hatten feste Treffpunkte für feste Gruppen. Humans und mein Tag war lange der erste Sonntag im Monat, der deutsch-afghanisch-persische
Begegnungsnachmittag mit gemeinsamem Essen. Es gab verschiedene Essensbeiträge, immer einen großen Topf Reis und Gespräche rund um die Tische. Und Ich persönlich stoße an Grenzen, mit meinem Vollzeitjob
und privatem Leben – ich arbeite in der Entwicklungszusammenarbeit und bin dabei eingebunden in Unterstützungsarbeit für syrische Vereine und Organisationen. Was vorher selbstverständlicher in den Alltag eingebaut werden konnte, ist es nicht mehr. Sich zu verabreden ist ungleich komplizierter geworden. Diese Krise zwingt uns jetzt mehr zu einem Innehalten und Nachdenken über das, was war und wie es weitergehen kann. Ich freue mich auf die Fortsetzung des Lebens in und mit unserer Willkommensinitiative Falkensee. Und bin sehr dankbar, auf alles Bisherige zurückzublicken. Aufgrund von Humans eigenem Erleben und seinem eigenen Aufarbeiten von traumatischen Erlebnissen haben seine Aktivitäten nochmal eine besondere Bedeutung. Human sagte vor kurzem: Ein Tag, an dem ich nicht jemandem aus der WiF helfen konnte, ist ein weniger guter Tag. Und Humans Vermittlung zwischen beiden Welten hat eine umso stärkere Verbindung. Aber auch bei mir merke ich, dass es sehr wichtig ist, weil ich in beiden Welten ebenfalls zu Hause bin, jedoch die Herkunft eine andere ist. Bedeutungsvoll für uns alle sind somit die Lesungen von Humans Buch, die innerhalb der WiF in den letzten Jahren stattgefunden haben. Humans
Präsenz und seine ‚Brückenfunktion‘ für die Menschen in der WiF ist dadurch noch stärker wahrnehmbar.
Seit mehr als einem Jahr sind Besuche durch Corona keine Selbstverständlichkeiten mehr und werden es
vielleicht auch nicht in baldiger Zeit wieder sein. Treffen erfolgen draussen. Wir haben eine digitale Austauschgruppe – Frauensprechcafé – mit Bouchra und den Frauen formiert. Ich freue mich schon auf noch mehr solcher Aktivitäten draussen und das von Tanja initiierte gemeinsame Gehen und dabei sprechen – Deutschlernen.