Tandems und Gastfamilien

Lange bevor Menschen in großen Zahlen bei uns in Falkensee ankamen hatte Ulf Hoffmeyer-Zlotnik ein Konzeptfür Patenschaften entworfen. Bestandteil des Konzepteswar ein mehrstufiger Kurs, in dem Interessierte in Grundzügen unterrichtet wurden, worauf es bei der Übernahme einer Patenschaft ankommt. Es war ein sehr durchdachter Auftakt.
Wir finden es hilfreich zu trennen zwischen der Begleitung von Erwachsenen und der Begleitung von Minderjährigen. Im Falle von Erwachsenen sprechen wir heute von Tandems. Tandem deswegen, weil die Begleitung auf Augenhöhe wichtig ist, denn wer hält es aus, wenn auf Dauer jemand an ihrer/seiner Seite ist, der als Pate scheinbar höher steht.
Im Falle von Minderjährigen hat der ASB in Falkensee – ebenfalls initiiert durch Ulf – sehr früh eine Skalierung der Aufnahmefähigkeit der Stadtgesellschaft ermöglicht, in dem Gastfamilien für allein gekommene Minderjährige gefunden und durch pädagogisches und psychologisches Fachpersonal kompetent begleitet wurden. Beide Konzepte haben in den letzten Jahren eine von vielen Ehrenamtler:
innen getragene Verstetigung gefunden.

Tandems

Der Unterstützungsbedarf war und ist vielfältig: Wohnungssuche, Arbeit finden, Qualifizierung, Fortbildung,
Studium, Kommunikation mit Behörden, Umgang mit Traumata und post-traumatischen Störungen. Emanzipation aus patriarchalischen Strukturen, faktischer Vollzug von innerlich bereits entschiedener Trennung vom Partner, Familiennachzug, Familiengründung, Erziehungsalternativen. Fast alles davon auch vorkommend im Leben eines hier geborenen Menschen. Der Unterschied ist, dass bei geflüchteten Menschen alles in fremder Sprache, in fremder Kultur und im Zeitraffer stattfindet. Schnell ist darauf hingewiesen, dass hier andere Rechte und Pflichten bestehen als in den Herkunftsländern. Wichtig war uns jedoch, Gelegenheiten zur Auseinandersetzung damit zu geben. In Männergesprächsrunden erfolgte das ebenso, wie im Frauensprachcafe. Im persönlichen Gespräch über Frauenrechte und Erziehungsalternativen
zu sprechen ist nach unserer Erfahrung am wirkungsvollsten. Selbst, wenn dabei auszuhalten ist, dass es manchmal viele Anläufe braucht. Tandems funktionieren meistens dann gut, wenn sich beide Teile des Tandems auf mehreren Ebenen zur Bindung einlassen, Vertrauen zueinander finden, auf Augenhöhe
miteinander agieren. Um zum Beispiel Parallelgesellschaften mit der manchmal stattfindenden Entrechtung
von Frauen zu vermeiden waren Tandems hilfreich, um im Fall einer Loslösung aufnehmenden Zugang zu
den existierenden Unterstützungsstrukturen wie Frauenhäusern zu ermöglichen, in Frauennetzwerken aufgehoben sein. Oder um Dialog zwischen den sich Trennenden aufrecht zu erhalten, insbesondere wenn Kinder mitbetroffen sind.
Um das Erlernen von Sprache, Einstieg in die deutsche Arbeitswelt und Erlernen neuer Schlüsselqualifikationen zu ermöglichen haben Tandempartner den Zugang zu den vielen funktionalen Unterstützungsangeboten orchestriert, die in der Willkommensinitiative von anderen Ehrenamtler:innen angeboten wurden: etwa Arbeitsplatzvermittlung, Sprachkurse, Unterstützung beim Schreiben von Bewerbungen.
Einzelne zu unterstützen ist einfacher und effektiver, als wenn sich wenige um viele kümmern. Leider gibt es noch immer Menschen in den Heimen, die keine Unterstützung haben – oder wollen. Die sich zurückgezogen haben, oder die noch keinen Zugang zu den Hilfestrukturen fanden. Es gibt noch genug zu tun, um niemanden zurück zu lassen oder aufzugeben. Wir laden ein dazu, mit den Neufalkenseer:innen in Kontakt zu gehen. Häufig sind daraus enge Bindungen oder Freundschaften entstanden, die weit über die Zeit des Bedarfes an intensiver Hilfe hinausreichen. In anderen Fällen haben sich die Unterstützten sehr schnell zurecht gefunden, emanzipiert und kennen sich inzwischen manchmal besser mit den Wegen durch deutsche Behörden aus als die ursprünglichen Unterstützer.

Begleitung Minderjähriger

Es sind viele Kinder und junge Menschen zu uns gekommen, teils ohne Eltern, teils mit Eltern. Die unbegleitenden Minderjährigen müssen behördlich überwachte Unterstützungen bekommen, so sagen es unsere Gesetze und so sind unsere Werte. Die begleiteten Minderjährigen brauchen häufig die gleichen Hilfen. Um beide Gruppen soll es hier gehen. Wie schon eingangs beschrieben waren im Havelland
über hundert Minderjährige ohne Ihre Eltern angekommen. Klar ist für uns, dass die allermeisten Minderjährigen am sinnvollsten in familiären Strukturen aufgehoben sind. In Falkensee gab es das Gastfamilien-Programm des ASB. Der Landkreis Havelland hat sich anfänglich leider gegen eine breit gefächerte Suche nach Gastfamilien ausgesprochen, daher blieb die frühe Aufnahme in Gastfamilien ein Falkenseer Unikum. Erst Jahre später, als die anfänglich aufgebauten Jugendhilfeeinrichtungen nach und nach verkleinert wurden, begann die Neuentdeckung familiärer Strukturen. Pflegeeltern wurden geschult. Pflegefamilien nahmen Minderjährige auf. Gerade traumatisierte Kinder sind in Familien am besten aufgehoben um in den Alltag zurück zu finden. Persönliche Bindungen und ein rughiger, sicherer Ort sind
wichtig. Dennoch darf nicht vergessen werden, nicht für jedes Kind ist eine schnelle, neue, enge Bindung richtig – manchmal, auch bis auf weiteres, nicht möglich. Es gilt also, genau hinzusehen.
Was passiert in einer Pflegefamilie? Manche/r interessierte sich für eine Rolle als Pflegefamilie. Und stellt
sich vor, ein dankbares Kind mit der (eigenen) Familie zu beglücken. Sowohl in den frühen Gastfamilien, als auch in späteren Pflegefamilien gab es dann manchmal die Situation, dass sich ein aufgenommener junger Mensch in oppositionellem Verhalten übte. Gar nicht dankbar für die gebotene Hilfe schien. Sichtlich nicht im Gast- oder Pflegefamilienkreis weilen wollte. Unsere Antwort war in diesen Fällen immer: Wenn das passiert, dann habt ihr als Gast- oder Pflegeeltern alles richtig gemacht. Wenn es dem aufgenommenen jungen Menschen irgendwann peinlich wurde, mit den Gasteltern in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, dann war die Normalität (eines Pubertierenden) hergestellt, die Perfektion des Eltern-Daseins erreicht: Ihr habt einen pubertierenden Jugendlichen befähigt, selbstbestimmt und selbstsicher für seine/ihre Interessen einzutreten. Eure Zuneigung auf die Probe zu stellen (und sich dieser sicher zu sein)
mit widerspenstigem Verhalten. Besser geht es kaum. Der Beweis einer vertrauensvollen Bindung.
Aus unserer eigenen Erfahrung wissen wir, dass es mehrere Jahre dauern kann, bis ein junger Mensch wirklich ankommt. Zu schwer wiegen häufig der Verlust der Kindheit, Verlust der Familie, um ein schnelleres Ankommen zu ermöglichen.
Teils anders, teils gleich ist es bei denjenigen, die jetzt mit ihren Eltern bei uns leben. Gleich ist die Herausforderung an die jungen Menschen, die sich aus der Notwendigkeit ergibt, Sprache, Kultur, Schule meistern zu wollen und müssen. Gleich ist auch, dass idealerweise die Begleitung immer mit den leiblichen Eltern, so sie denn am Leben sind, nicht gegen und nicht ohne die leiblichen Eltern, stattfindet. Wir haben Eltern erlebt, die trotz eigener Bildungsferne ihren Kindern den nötigen Halt geben, jeden Tag, um in der neuen Heimat bestehen zu können. Andere Eltern haben ihren Kindern alle Freiheiten gegeben, die dann allerdings mit ansehen mussten, das ihre Kinder mit den vielen Freiheiten gar nicht zurecht kamen. Manchmal folgten darauf drakonische Einschränkungen von Freiheiten. Oder de-facto Einschränkung indem, gerade bei Mädchen, unmissverständlich die Erwartung an Unterordnung in die althergebrachten patriarchalischen Strukturen seitens der Eltern geäußert wurde. Unterstützung der begleiteten Minderjährigen braucht daher mehr Kontakt mit den Eltern – deren Erlaubnis, deren Wertschätzung oder – auch das haben wir über Jahre funktionieren sehen – deren stille, aber dennoch aufmerksame Begleitung.
Im Jahr 2021 angekommen freuen wir uns, dass wir eine zahlreiche Unterstützerschaft von Ehrenamtler:innen als Tandems, Pflegeeltern, Begleiter haben, die autark im Stillen agieren. Die sich nur melden, wenn sie Unterstützung brauchen. Dass wir in vielen Bereichen der Landkreisverwaltung, hier vor allem Jugendamt, Sozialamt und Ausländerbehörde, professionell agierende und kompetent handelnde Unterstützung erfahren. Dass es für ein Kind im Landkreis Havelland keinen Unterschied mehr macht, wo es geboren und wann es zu uns gekommen ist – Unterstützung ist nicht mehr separiert, sondern integriert.
Christoph und Kathleen