Neuanfang mit Bäckereien in Berlin

Familie Alsakka, für die ich und Ella die Patenschaft übernommen haben, lebt seit Juli 2014 in Falkensee. Ihr Weg nach Deutschland führte sie aus ihrer Heimatstadt Homs, nördlich von Damaskus, 2012 nach Ägypten und 2014 dann nach Deutschland. Durch ein UNICEF Projekt für syrische Familien erhielt die Familie Alsakka ihr Visum nach Deutschland. Sulaiman, als ältester Sohn der Familie, war einer der ersten Jugendlichen, die hier im Havelland die reguläre Schule besuchten, für Schule und Schüler eine Herausforderung. Bedingt durch die Fluchtumstände waren Lernen und Schulbesuch in den Jahren zuvor schwer möglich. Sulaiman musste in der Klassenstufe 10 den Schulbesuch aufnehmen, er hatte Schwierigkeiten mit der Sprache und
fühlte er sich nicht immer akzeptiert. Manche Schüler gingen ihm bewusst aus dem Weg, doch dies bestärkte seinen Ehrgeiz, die deutsche Sprache schnell zu lernen.
Nach ungefähr einem halben Jahr gelang ihm das gut. Gerade in dieser Zeit waren viele Behördengänge erforderlich. Hierbei war die Unterstützung des Ältesten mit den besten Deutschkenntnissen oft unabdingbar. Dies führte zu Fehlstunden und Fehltagen und war für Sulaiman zum Teil schwierig mit den schulischen Verpflichtungen in Übereinstimmung zu bringen. Sicher spielten hier das unterschiedliche Verständnis, was Schulpflicht und die Voraussetzungen für den weiteren beruflichen Weg betrifft, eine Rolle, aber auch die unterschiedlichen Priorisierungen zwischen familiären und gesellschaftlichen Verpflichtungen und die Rolle des Ältesten in der syrischen Familie. Auch das galt es für Sulaiman
zu verstehen und zu lernen. Dass es in Deutschland Regeln und Verpflichtungen, aber auch Möglichkeiten
gibt, die es so in seinem Heimatland nicht gab. Dies war eine schwierige Zeit, in der er sich in der neuen
Umgebung deprimiert und überfordert fühlte. Der große Unterschied zwischen den alten und neuen Lebensverhältnissen war eine Prüfung für die ganze Familie. Von einer guten Stellung in der Heimat hinein in eine Lage, wo sie oft unterschätzt wurden und alles von Null aufbauen mussten. Bereits in Ägypten hatte Sulaiman als 15-Jähriger gearbeitet und das für wenig Geld, doch dort hatte man zumindest seine Muttersprache gesprochen.
2016 standen die Vorbereitungen für die Schulwechsel der beiden älteren Söhne Sulaiman und Rida an. Gern wäre Sulaiman von der Hans-Klakow-Oberschule Brieselang auf die weiterführende Kant-Schule in Falkensee gegangen. Alle Bewerbungs- und Vorstellungstermine haben wir gemeinsam wahrgenommen. Geklappt hat es mit der Kant-Schule leider nicht. Aber die zweite Option im Oberstufenzentrum OSZ Nauen konnte zum September 2016 erfolgreich umgesetzt werden. Ziel war das Fachabitur und später ein BWL-Studium. Die Hoffnung durch den Schulbesuch in Falkensee besser Freunde zu finden und stärker mit Jugendlichen in Kontakt zu kommen, war für Sulaiman leider geplatzt. Aber auch hier haben wir nach anderen Wegen und Möglichkeiten gesucht. Über das Creative Zentrum „Haus am Anger“ ergab sich die Chance für ein zweiwöchiges Praktikum, außerdem das Angebot für die Teilnahme an einer Fahrt mit Jugendlichen nach Krakow und „Auschwitz –Ort der Erinnerung – gegen das Vergessen“, organisiert
vom Creativen Zentrum zusammen mit der Kirchengemeinde Falkenhagen.
In Deutschland behütet und sicher musste Sulaiman aus der Ferne zusehen, wie sich Syrien im Krieg befand,
seine Heimatstadt Homs immer weiter zerstört wurde und viel Schlimmes passierte. Für einen Teenager mit
17, 18, 19 Jahren und dem Gefühl, nichts dagegen tun zu können, emotional alles andere als einfach. Oft haben wir darüber gesprochen. Auch wenn es keine Lösung gab, Zuhören, Gedanken austauschen und Mut für die Zukunft machen, allein das war so wichtig. Im OSZ Nauen standen neben zwei Schultagen drei
Praktikumstage pro Woche an. Als ausbildende Einrichtung gelang es uns sehr kurzfristig die Stadt Falkensee
zu gewinnen. In verschiedenen Bereichen der Verwaltung startete Sulaiman seine Praktika. Nach wie vor ein
Problem blieben schulische Fehlzeiten, da er durch den Familienbetrieb sehr beansprucht wurde. Auch stellte er fest, dass er beruflich in eine andere Richtung wollte. Im Sommer 2017 verließ er das OSZ und begann eine Ausbildung als Physiotherapeut, die er mit Elan vorantreibt.
Familie Alsakka besaß vor ihrer Flucht aus Syrien eine Konditorei in ihrer Heimatstadt Homs. Als Bäcker und
Konditoren in zweiter Generation fiel es ihnen schwer, den Betrieb aufzugeben und in eine ungewisse Zukunft zu gehen. Salim Alsakka und seine Brüder arbeiteten seit ihrer Ankunft in Deutschland mit viel Kraft daran, ihren Traum von einer eigenen Konditorei in Berlin zu verwirklichen. Mitte 2016 war es soweit – Familie Alsakka eröffnete mit einem Fest ihre erste Konditorei „Damaskus“ in der Sonnenallee in Berlin-Neukölln. Es gab leckere Syrische Spezialitäten wie Baklawa, Halawat al Jibn, Kunafe. Ella und ich können nur eins verraten – einmal probiert, kann man süchtig danach werden!
Im August 2018 erfolgte die Eröffnung ihrer Filiale in der Müllerstrasse im Wedding: „Damaskus – Emissa“, das entspricht dem alt-griechischen Namen ihrer Heimatstadt Homs. Seit November 2018 gibt es in der Turmstrasse in Moabit ebenfalls eine Filiale von „Damaskus“ mit Café. Im April 2021 wurde die Filiale in der Müllerstraße verkauft und wird demnächst durch einen anderen Standort ersetzt. Seither betreiben sie die Konditoreien sehr erfolgreich. Immer wieder gibt es aber auch Rückschläge oder Anfeindungen. So gab es mutmaßliche Anschläge wie einen angezündeten Transporter vor der Eingangstür und rechtsextreme Zeichnungen an den Geschäftswänden. Doch dank großer Solidarität von Stadt und Nachbarn, führten dies nicht zur Entmutigung. Große Hochachtung habe ich bis heute für das, was Sulaiman
geleistet hat. Welche Verantwortung gerade 2016 und 2017 auf seinen jugendlichen Schultern lag. Nie hat
er sich darüber beklagt, hat sich allen Herausforderungen gestellt, Fehler gemacht, Niederlagen weggesteckt, Hilfe angenommen. Aus dem Jugendlichen von damals ist ein großartiger junger Mann geworden! Familie Alsakka ist heute gut in Deutschland angekommen, sie fühlen sich wohl in Falkensee. Schön ist es, dass Vertrauen und Freundschaft zwischen uns allen entstanden sind, die durch die gemeinsame, teils nicht so leichte Zeit geprägt wurden und auch in Zukunft Bestand haben
werden.
Sigrid Allmeier