Iris Sanchez

Foodsaving und Begegnung

Meine ersten Erfahrungen mit geflüchteten Menschen machte ich, als in der Nachbarschaft in einem ehemaligen Möbelgeschäft ein großes Flüchtlingslager eröffnet wurde und es eine Einladung gab, sich die Gegebenheiten einmal anzusehen. Es kamen viele Menschen aus der Siedlung, ganz überwiegend mit Interesse, aber einige auch mit dem festen Vorsatz, schlechte Stimmung gegen unsere neuen Nachbarn und Nachbarinnen zu machen. Es gab wilde Gerüchte, was andernorts schon alles passiert sei. Ich erlebte, wie in einem Discounter das Personal in Habachtstellung war, wenn Menschen aus der Notunterkunft dort einkaufen gingen, da sie stets mit Diebstählen rechneten. Das hat mich wirklich total geschockt und mich dazu bewogen, mich einzubringen und vielleicht juristische Hilfestellung zu leisten. Nach wenigen Monaten wurde die Notunterkunft aufgelöst und ich verlor den Kontakt.
Erst durch eine Anzeige in unserem Werbeblättchen ergaben sich für mich neue Anknüpfungspunkte, da
Menschen gesucht wurden, die sich am Foodsaving beteiligen wollten. Es gab mehr InteressentInnen als Einsatzmöglichkeiten, aber ich konnte Bouchra beim Foodsaving unterstützen und mehrfach pro Woche dort mit einem Bollerwagen übriggebliebene Backwaren und Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum zwar schon abgelaufen war, die aber noch völlig in Ordnung waren, abholen
und in die B84 bringen. Das war ein Job, der mir total gefiel, da ich mich schon immer darüber geärgert
habe, wie viele Lebensmittel im Müll landen. Zurück mit meinem Bollerwagen in der B84 wurde dann
sortiert, aus einigen Sachen bereitete Nahla ein leckeres Mittagessen, andere wurden zur Verteilung
ins Regal gelegt. Nach getaner Arbeit hab ich es mir dann meist mit einem Kaffee gemütlich gemacht
und die Gelegenheit zum Gespräch genutzt. Insbesondere die energiegeladene und stets fröhliche Tanja sowie die zauberhafte Bouchra mit ihren guten Sprachkenntnisse haben mich begeistert. Mich faszinierte, mit wieviel Energie sich Menschen in die neuen Gegebenheiten einfanden. Mit welcher Intensität viele unsere schwere Sprache erlernten oder versuchten, hier einen Schulabschluss zu machen. Ich weiß, wovon ich spreche, da ich mich noch gut an die Schwierigkeiten erinnere, die mein Mann hatte, als er der Liebe wegen vor mehr als 30 Jahren nach Deutschland kam. Da geht es um deutlich mehr als nur um eine fremde Sprache. Der Lockdown machte dann leider Schluss mit dem Foodsaving. Nun hoffe ich sehr, dass ein normales Leben möglich wird, die B84 wieder öffnet und mein Einsatz beim Foodsaving oder anderweitig, gern auch bei arbeitsrechtlichen Fragen, gefragt ist.
Iris Sanchez